Vor kurzem habe ich eine Anfrage bearbeitet, bei der es darum ging, eine bestehende Webseite mal aus Kundensicht zu bewerten. Das war eine lustige Angelegenheit, hat aber durchaus einen ernsten Hintergrund.
Bei der Erstellung einer Webseite müssen die unterschiedlichsten Belange betrachtet werden. Die Webseite soll technisch so aufgezogen sein, dass auch der Kunde bzw. der Auftraggeber diese im Anschluss allein bedienen und mit aktuellen Inhalten bestücken kann. Gleichzeitig ist auch die Auffindbarkeit bei Suchmaschinen ein Aspekt, der immer wieder hoch priorisiert wird. Frage ich in der Recherchephase nach konkreten Ideen, was nach Ansicht des Kunden auf die Webseite muss kommen entweder viele Ideen oder gar nichts. In den meisten Fällen schicke ich den Auftraggeber in einem der ersten Schritte erst einmal ins Internet, um sich Inspirationen zu holen.
Wenn wir dann irgendwann alles zusammen haben, geht es an die Umsetzung und den anschließenden Launch der Webseite.
Allerdings gibt es einen Aspekt, der neben Technik und Funktionen wirklich ausschlaggebend für den Erfolg einer Webseite ist, häufig aber keine oder nicht ausreichend Beachtung bei der Erstellung findet. Es nützt nämlich die schönste Webseite mit den besten Funktionen rein gar nichts, wenn der spätere Kunde des Auftraggebers die Seite nicht gut nutzen kann oder es ihm keinen Spaß macht. Im Fachjargon spricht man hier von UX-Design, was für User eXperience, also Nutzererfahrung steht. Dabei geht es darum, zu beachten, wie ein Kunde bzw. ein Webseitenbesucher sich verhält.
Mit welcher Intention kommt er auf die Webseite, wonach sucht er, wie kommt er an die notwendigen Informationen und wie gelingt es dem Webseitenbetreiber, dass der Kunde Kontakt aufnimmt bzw. im Shop kauft?
Natürlich ist dem Webseitenbetreiber völlig klar, unter welchem Menüpunkt welches Angebot angesiedelt ist; man sollte aber im Hinterkopf 2 Dinge behalten:
1. Der Webseitenbesucher hat eventuell keine Kenntnisse über das Fachgebiet. Er weiß vielleicht nicht, welches deiner Angebote zu seinem Problem passt, weil er z.B. Fachausdrücke nicht kennt oder sein Problem nicht korrekt einordnen kann.
2. Du hast nur einen recht kurzen Zeitraum der Aufmerksamkeit, in der sich entscheidet, ob der Seitenbesucher sich weiter auf deiner Seite umsieht oder sich lieber für die Seite eines Mitbewerbers entscheidet. Man könnte das mit einem Schaufensterbummel in der Stadt vergleichen; bei deiner Webseite hast du aber nur wenige Sekunden Zeit, die Aufmerksamkeit des Besuchers zu gewinnen.
Daher kann es tatsächlich hilfreich sein, die eigene Webseite von Zeit zu Zeit mal aus Sicht des Kunden zu betrachten. Gut gewappnet für diese Aufgabe ist derjenige, der schon weiß, wer seine Wunschkunde ist und bei welchem Problemen er seinen Kunden helfen möchte. Erstelle ich Webseiten oder Marketingmaterialien ist das daher ebenfalls eine der Fragen, die ich zum Beginn des Design-Prozesses beantworten lasse. In Fällen, in denen sich mein Auftraggeber über diese Dinge noch gar keine Gedanken gemacht hat, muss ich diesen Prozess anleiten und unterstützen.
Aber auch, wenn die Webseite bereits länger online ist, schadet ein ‘Blick durch die Kundenbrille’ nicht. Gerade weil heute die meisten Webseiten technisch so aufgesetzt sind, dass der Seitenbetreiber sie selbst in wenigen Schritten anpassen und verbessern kann, kann hier viel gewonnen werden.
Kundenblick auf die eigene Webseite?
Es kann unter Umständen schwer sein, die eigene Webseite aus Kundensicht zu betrachten, gewissermaßen sind wir da ein wenig betriebsblind. Ähnlich anmutend wäre der Versuch, einen Besucher in der Wohnung loszuschicken, um aus der Küche einen Teller aus einem bestimmten Schrank zu holen. Was für den Wohnungsbesitzer auch im Halbschlaf kein Problem ist; ist für den ‘Ortsunkundigen’ eine echte Herausforderung.
Nun ist es aber so, dass ich in der Regel nicht dabei bin, wenn ein Webseitenbesucher meine Seite besucht. Ich kann ihn weder fragen, was genau er möchte; noch ihn anleiten, um die entsprechenden Informationen zu finden. Er ist also darauf angewiesen, dass ich ihm den Denkprozess gewissermaßen abnehme. Wenn wir bei dem Besucher im Haus bleiben, wäre es für denjenigen viel einfacher, wenn wir vorab Richtungspfeile im Flur aufgehängt hatten und Zimmertüren und Schränke beschriftet hätten. Auf der Webseite kommt hier die Struktur ins Spiel, also zum Beispiel das Menü oder Verlinkungen auf der Startseite oder Landingpage zu den gewünschten Inhalten. Um zu überprüfen, ob das klappt, muss man sich gewissermaßen in das Denken des Besuchers hineinversetzen.
Ein hilfreicher Tipp für die Kundensicht lautet daher: Fragt doch einfach mal Bekannte oder Kooperationspartner, ob sie mal auf Kundensicht auf eure Webseite schauen können; gern auch mit einem expliziten Kundenproblem.
Als ich zum Beispiel kürzlich über eine THP-Seite drüber geschaut habe, habe ich mir vorgestellt, ich hätte eine Katze, die ihr Klo nicht verwendet. Ich habe also einen Tierhalter verkörpert, der nach mehreren Tierarzt-Besuchen verzweifelt einen THP aufsuchen möchte, um das Problem zu lösen. Anschließend habe ich mir überlegt, was mir als Katzenhalter dann wichtig wäre und bin Schritt für Schritt durchgegangen.
Der Kundin habe ich dann mein Kundenerlebnis beschrieben und wir sind so auf diverse kleinere Probleme gestoßen, die nun behoben werden können.
Wozu das Ganze?
Jetzt magst du dir vielleicht denken, dass das überflüssig ist. Vielleicht hast du schon von Suchmaschinenoptimierung gehört, vielleicht arbeitest du auch selbst daran.
Was aber durchaus auch eine nicht zu verachtende Rolle im Algorithmus der Suchmaschinen spielt, ist wie sich Seitenbesucher auf deiner Webseite verhalten. Wird die Seite sofort wieder geschlossen oder liest der Besucher aufmerksam die Inhalte? Bleibt der Seitenbesucher nur auf der ersten Seite oder taucht er tiefer in die Struktur ein? Verlässt er die Seite wieder ohne damit zu agieren oder kommentiert er, nutzt er Kontaktformulare usw.
Selbst, wenn du auf deiner Seite keine Analysetools und damit keine direkte Verbindung zu den Suchmaschinen eingebaut hast, sind die Suchmaschinen dennoch in der Lage anhand Servermeldungen diese Dinge zu bewerten.
Und vielleicht kannst du es dir schon denken, aber für den Seitenbesucher offensichtlich wertvollere Seiten, werden höher gerankt als Seiten, die sofort wieder geschlossen werden.
Es gilt also, den Seitenbesucher direkt beim ersten Aufrufen der Seite gewissermaßen dort abzuholen, wo er steht und ihn gut durch die Seite zu leiten um im besten Fall einen Kunden zu gewinnen.
Deswegen der Blick aus Kundensicht auf deine Webseite.
Muss man es jedem Seitenbesucher recht machen?
Eines ist mir noch wichtig zu erwähnen. Gerade, wenn die Seite neu gelauncht wurde oder ein Relaunch stattgefunden hat, kommt es immer wieder vor, dass mir meine Auftraggeber Mails schreiben, weil einzelne Seitenbesucher Schwierigkeiten haben. Hier muss man klar differenzieren, um was für Schwierigkeiten es sich handelt. Geht es um technische Dinge, die bei den Tests einfach nicht getestet wurden (oder nicht getestet werden konnten), die aber eine Vielzahl von Besuchern betreffen? Hier muss natürlich eine Nachbesserung stattfinden.
Aber ab und an kommt es auch vor, dass man von einzelnen Seitenbesuchern eine Rückmeldung bekommt, wie ‘Ja, den Button hab ich nicht gleich gesehen’, ‘Die Farbe gefällt mir aber nicht’ und ähnliche Späße.
Hier muss man als Seitenbetreiber und auch als Designer eine klare Grenze ziehen. Viele kleinere Selbstständige machen den Fehler, den Webseitenlaunch wahnsinnig groß bei Facebook, Instagram und Co. anzukündigen. Sie versprechen tolle neue Funktionen, ein super Design etc. und vergessen dabei, dass das zu einem Großteil nicht messbare Funktionen sind. Ob eine Farbauswahl gelingt hat zwar durchaus mit Harmonieverständnis zu tun, trotzdem kann es sein – bzw. ist es sogar sehr wahrscheinlich, dass es nicht jeden Geschmack trifft.
Einige Seitenbetreiber verrennen sich dann und wollen urplötzlich noch dies und jenes geändert haben. Wenn ich aber ein Design aufsetze und das vom Kunden abnehmen lasse, habe ich meine Gründe dafür. Es gibt Gründe, warum ich mich für eine bestimmte Schriftart, eine bestimmte Farbe oder ein bestimmtes Bild entscheide. Nicht alle diese Gründe werden im Designprozess mit dem Kunden begründet. Das liegt daran, dass der Kunde die Wirkung von Farben zum Beispiel nicht weiß und ihn solche Dinge auch nicht interessieren. Ich als Designer habe aber im Hinterkopf, warum ich auf diese und jene Farbe setze oder warum ich eine bestimmte Schriftart nutze.
Deswegen ist es wichtig, hier klar zu unterscheiden zwischen Dingen, die einfach nur nicht den persönlichen Geschmack des Seitenbesuchers treffen und Dingen, die tatsächlich technisch nicht korrekt funktionieren. An letzterem sollte man arbeiten; am ersten Problem aber will eine spätere Änderung immer gut überlegt sein, da man im schlimmsten Fall das bisherige Design völlig verpfuscht. Und schlussendlich hat auch nicht jeder Seitenbesucher denselben Geschmack, ändert man also das Design aufgrund einer Unmutsbekundung, stößt man gleichzeitig diejenigen vor den Kopf, die das Design gelungen finden.
Also – wenn du dir das nächste Mal etwas Zeit für deine Webseite nimmst – schau sie dir doch mal durch die Kundenbrille an. Oder, wenn du dir selbst kein objektives Urteil zutraust; suche dir Hilfe und Unterstützung im Bekanntenkreis. (Kleiner Tipp, nimm hier nicht gerade die beste Freundin, Mutti oder den eigenen Partner – hier läufst du Gefahr, dass diese Menschen auch nicht in der Lage sind, die Seite objektiv zu betrachten, weil sie dich einfach mögen und dich bestätigen wollen.)
Und wenn das auch nicht möglich ist – meld dich einfach bei mir 🙂
Ich wünsche dir ein schönes Wochenende,
Deine Susann
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